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Beitrag vom 02.05.2016
Coco Schumann - Solange ich Musik mache, habe ich keine Zeit alt zu werden
Magdalena Herzog
Der legendäre Berliner Swingsänger wird am 14. Mai 92 Jahre alt. Das Theater am Kurfürstendamm führt noch bis zum 29. Mai mit "Der Ghetto Swinger" seine Lebensgeschichte auf und AVIVA nimmt dies zum freudigen Anlass, seine 2014 erschienene CD...
... zu loben, die wie ein Büchlein in Zitate, vielen Witzen und ja, manchmal auch Kalauern eingebunden ist.
"Hallo Coco. Wie geht es Dir"? "Keene Ahnung"
Allein dieser Dialog, den er mit der Herausgeberin Bärbel Petersen wechselt, spricht Bände über den Musiker. Er, ein Berliner Urgestein vermittelt diese typische Nonchalance, etwas unaufgeregtes über sich selbst und die Welt, obwohl er sie doch in ihren extremsten Facetten kennengelernt hat.
Am 14. Mai 1924 wurde er als Heinz Schumann geboren, seine Mutter war jüdisch, der Vater nicht. Eine große Rolle hat dies nicht gespielt, denn erst die antisemitischen Zuschreibungen machten dem noch recht kleinen Jungen seine Identität brutal bewusst. Als Zwölfjähriger entdeckte Coco Schumann den Jazz für sich, Onkel und Cousin schenkten ihm Schlagzeug und Gitarre. Noch minderjährig spielte er in den Clubs der Stadt bis in die frühen 40er Jahre, von Verehrerinnen und Liebhaberinnen umgeben. Einer, der es durch ihre französische Muttersprache schwerfiel, das "H" von Heinz auszusprechen, nannte ihn schlicht "Coco", was auf Französisch "Gockel" oder "Liebling" bedeutet. Den "Gelben Stern", den er ab 1941 tragen musste, hatte er durch einen Druckknopf befestigt, so dass er ihn jederzeit abnehmen konnte – seine Form des Widerstands. Die Grenzen dessen zeigten sich 1943: Coco wurde auf der Straße als Jude erkannt, von der Person bei der Gestapo denunziert und zunächst nach Theresienstadt, später nach Auschwitz und Dachau deportiert. Seine musikalischen Fähigkeiten retteten ihm das Leben im Ghetto und KZ, denn er wurde für die Arbeit in der Musikkapelle eingeteilt und wurde gezwungen, bei den Selektionen an der Rampe aufzuspielen.
"Wenn ich nicht zwei Meter groß, blond und germanisch wäre, hätte ich das alles nicht durchgestanden"
Nach der Befreiung durch die US-Amerikanische Armee im April 1945 kehrte er zurück nach Berlin und trat sofort wieder auf, unter anderem mit Marlene Dietrich. Mit seiner Frau Gertrud emigrierte er 1950 nach Australien. Als er vier Jahre später auf Besuch nach Berlin kam, blieb er. Es folgte eine Karriere als Jazz-Gitarrist unter anderem mit dem Coco-Schumann-Quartett. Er trat mit Helmut Zacharias auf, spielte mit Ella Fitzgerald, Louis Armstrong und nicht zuletzt mit dem Belgier Toots Thielemans, der der Mundharmonika im Jazz zu einem anerkannten Dasein verhalf.
Auf der CD der Sonderedition des Lichtig Verlags sind zwölf Songs zusammengestellt, die sowohl Coco Schumanns eigene Kompositionen, als auch seine Arrangements, beispielsweise von Harry Warren, enthalten. Die Klänge versprühen mal Bossa Noa, mal Salsa, dann wieder eher Jazz und Swing. Die Hammondorgel, die nicht mehr häufig zu hören ist, tüpfelt etwas Altmodisches der 50er Jahre oben drauf, Piano, Besen und Gitarre bei "Summertime" sind zeitlos. In Schumanns Akustik-Version wird George Gershwins Hit zu einem Klangteppich, dessen Feinheiten vielleicht erst dadurch so gut zu vernehmen sind.
Der Ohrwurm der Sammlung ist "Ausgerechnet heute Abend" des italienischen Komponisten Virgilio Panzuti, der auch als Mac Gillar bekannt ist. Text, Musik und die leicht weinerliche Stimme des Bassisten Wolfgang Kuntze funktionieren so gut miteinander, sind so herrlich schmalzig, dass frau sogleich mit zerschmelzen möchte und es ihr doch gleichzeitg ein Schmunzeln auf ins Gesicht treibt bei so viel Herzzeriss.
"Die Zweibeinigen sind Ungeheuer. Man nennt sie Menschen."
Die Musik ist angefüllt mit Witz, mit diesem Ausgenzwickern, ja, einer Selbstironie, die auch wunderbar in Cocos´ Statement: "[i]ch sage nicht viel, aber was ich sage, ist Käse" zum Ausdruck kommt. Doch darin steckt gleichzeitig etwas Tragisches: Die alltägliche Tragik des Lebens der unerfüllten Lieben und Sehnsüchte und die Tragik der menschlichen Existenz selbst, die zu Schönem und Abgründigen imstande ist. Die Leichtigkeit der Musik, in der eben diese Tragik ausgeführt wird, ist auch wie ein Jubel zu hören über die Grausamkeiten, die Coco Schumann überlebt hat. Auch er brauchte wie viele andere Überlebende Jahrzehnte, um über seine Erlebnisse im Ghetto und in den Lagern sprechen zu können. Und so wenig er auch vorwiegend als Überlebender wahrgenommen werden möchte, so wenig lässt es sich vergessen, gerade durch diese nonchalante und liebevolle Art, die Coco selbst und seine Musik vermitteln.
Wir wünschen alles, alles Gute zum Geburtstag und weiterhin wundervolle Stunden mit dem Jazz!
Neben der CD enthält die Sonderedition eine Zusammenstellung Schumanns schönster Zitate, die seiner Autobiografie Der Ghetto-Swinger – Eine Jazzlegende erzählt entnommen sind. Ein Gespräch mit Bärbel Petersen, in dem ein Teil Schumanns (musikalischen) Biografie nachvollzogen wird, steht ergänzend daneben. Und nicht zu vergessen sind eine handvoll Bilder des stets hervorragend gekleideten Herren.
AVIVA-Tipp: Die Sonderedition, die beim Lichtig Verlag signiert erworben werden kann, ist eine besondere, nicht nur durch die Lieder und bittersüßen Zitate Coco Schumanns, sondern auch durch die Gestaltung: Im CD-Format, jedoch gebunden wie ein Büchlein, sind Bilder und Geschichten des Künstlers zusammengefasst.
Zur Herausgeberin: Bärbel Petersen ist Journalistin, Presse- und Marketing-Frau, die für "Partner für Berlin" und das Beliner Themen-Fernsehen gearbeitet hat. 2006 eröffnete sie das KADIMA Restaurant, ein musikalisch-literarischer Salon, den sie als MEINEKE 9 und dann als hörSALON weiterführte. 2016 entwickelte sie das Konzept für das Jubiläumsjahr des Gartenkünstlers Peter Joseph Lenné, dessen erstes Werk der Schlosspark Glienicke in Steglitz-Zehlendorf ist und sich fortsetzt mit der Pfaueninsel, dem Tiergarten und dem Park Charlottenhof.
Mehr Infos unter: www.kulturmanagement-berlin.de
Coco Schumann
Solange ich Musik mache, habe ich keine Zeit als zu werden
Herausgegeben von Bärbel Petersen
Label: trikont, Lichtig Verlag
VÖ: 2014
Buch mit CD
ISBN: 978-3-929905-30-4
Preis: 15,00 Euro
www.lichtig-verlag.de
www. trikont.de
Veranstaltungshinweis:
Das Theaterstück Der Ghetto Swinger ist noch bis zum 29. Mai im Theater am Kurfürstendam zu sehen.
Mehr Informationen unter: www.komoedie-berlin.de
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Caroline Gille, Niels Schröder - I got rhythm. Das Leben der Jazzlegende Coco Schumann
"Unglaublich böse und entsetzlich schön". Coco Schumann, einer der wichtigsten deutschen Jazz- und Swinggitarristen, feierte am 14. Mai 2014 seinen 90. Geburtstag. Die AutorInnen haben ihm eine Graphic Novel gewidmet, die das Überleben des Berufsoptimisten Schumann in Theresienstadt und Auschwitz und die Anfänge seiner bewegten Musikerkarriere erzählt. (2014)